Forging Authoritarian Consensus

Weltweit beobachten wir eine Tendenz hin zu illiberalen und sogar autoritären Normen und Regierungsformen. Laut einem aktuellen Bericht des Internationalen Instituts für Demokratie und Wahlunterstützung hat mehr als die Hälfte der Länder weltweit in den letzten zehn Jahren einen deutlichen Rückgang bei der Einhaltung der Prinzipien der liberalen Demokratie verzeichnet, darunter in Bereichen wie der Unabhängigkeit der Justiz, der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie der Pressefreiheit. Besonders ausgeprägt ist diese Erosion in Europa, wo 17 europäische Länder – darunter leistungsstarke Demokratien wie Österreich, Italien, die Niederlande, Portugal und das Vereinigte Königreich – einen deutlichen Rückgang verzeichnen. Die Forschung zu diesem Thema in den Politikwissenschaften und der Soziologie hat sich traditionell auf angebotsseitige Faktoren konzentriert und untersucht, wie institutionelle Kräfte und einzelne Akteur:innen zum Rückgang pluralistischer Werte beitragen. Dennoch erkennen Wissenschaftler:innen zunehmend auch die Bedeutung von Faktoren auf der Nachfrageseite, d. h., dass der Aufstieg von Autoritarismus und Illiberalismus oft mit demokratischen Mitteln erreicht wird und breite öffentliche Unterstützung genießt, wobei Einzelpersonen bereit sind, bestimmte Bürgerrechte und Schutzmaßnahmen aufzugeben, um im Gegenzug eine größere physische, kulturelle und wirtschaftliche Sicherheit zu erlangen. Wie Ekiert (2023) feststellt, erfolgt die Hinwendung zum Illiberalismus zum Teil gerade wegen der öffentlichen Meinung und nicht trotz ihr. Dennoch ist nach wie vor unklar, wie Nachfragefaktoren wirken. Es fehlen detaillierte Erkenntnisse darüber, wie sich die öffentliche Meinung zu Regierungsführung und Gesellschaft entwickelt und wie das Wechselspiel zwischen Angebot und Nachfrage die öffentliche Unterstützung für Autoritarismus beeinflusst.

Das Projekt befasst sich mit dieser Frage der dialogischen Beziehungen, indem es anthropologische und soziolinguistische Perspektiven in eine Diskussion über die Entstehung autoritärer Öffentlichkeiten einbringt. Die anthropologische Forschung hat ein differenziertes Verständnis dafür entwickelt, wie politische Botschaften die öffentliche Meinung prägen und damit „Öffentlichkeiten“ schaffen, auf die diese Botschaften wiederum reagieren. Das Projekt untersucht, wie die anthropologische Forschung zu Öffentlichkeiten zu einer umfassenderen Analyse der demokratischen Erosion und des zeitgenössischen Aufstiegs des Illiberalismus beitragen kann, wobei der Schwerpunkt auf der Entstehung und Verbreitung antipluralistischer Diskurse liegt. Konkret stellt das Projekt folgende Fragen:

  • Wie tragen öffentliche Botschaften verschiedener politischer Akteur:innen dazu bei, dass bestimmte politische Perspektiven (z. B. Illiberalismus) in einem bestimmten sozialen Kontext dominant und sogar dogmatisch werden?
  • Durch welchen sozialen und kommunikativen Prozess werden bestimmte politische Ansichten so autoritativ entextualisiert, dass sie zum „gesunden Menschenverstand” werden, durch den sich eine bestimmte Öffentlichkeit selbst erkennt?

Durch die Auseinandersetzung mit diesen Fragen wird das Projekt eine neue Methode zur Analyse von Prozessen des demokratischen Rückschritts entwickeln. Dies wird der Forschung zu diesem Thema in der Anthropologie, Soziologie, Politikwissenschaft und anderen verwandten Disziplinen zugutekommen. Außerdem wird es unser Verständnis der vorherrschenden politischen Strömungen in Europa und weltweit verbessern und Ansatzpunkte für Initiativen identifizieren, die demokratische Werte fördern und den Aufstieg des Illiberalismus eindämmen wollen.

Projektleitung