Wann: 27. November 2024, 16:15 - 17.45 Uhr
Wo: Unitobler F-023, Universität Bern
Zoom: https://unibe-ch.zoom.us/j/68077484313?pwd=th3deHtIK4JWWnJ60kYqZIPDJSHj6R.1
Die soziolinguistische Erforschung des multilingualen globalen Südens leidet unter selbst auferlegten methodischen Beschränkungen, die sich aus der Annahme ergeben, dass die Sprachdynamik zu „fließend“ ist, um systematisch erfasst werden zu können. Das multilinguale Namibia kann diese Annahme widerlegen, wenn es aus einer kombinierten quantitativen und qualitativen Perspektive betrachtet wird. Zunächst zeige ich anhand realsprachlicher Daten aus Namibia, dass die namibischen Sprachrepertoires, die man als eine Kombination aus indigenen Sprachen, Afrikaans und Englisch charakterisieren könnte, entlang zweier wichtiger Dimensionen variieren, nämlich dem Grad der ethnischen Markierung und dem Grad der Urbanität. Afrikaans, die historische Lingua franca Namibias und Muttersprache der meisten Weißen und "Farbigen" in Namibia, fungiert als symbolisches Attribut der Urbanität mit niedrigem Status, das mit Englisch, der Sprache mit hohem Status, kombiniert wird. Experimentelle phonetische und grammatikalische Daten zu Afrikaans und Englisch spiegeln die Sprachideologien Namibias wider, die aus realen Sprachdaten abgeleitet werden können. Das namibische Afrikaans weist eine starke ethnorassische Fragmentierung auf, die seinem niedrigen Status entspricht, während das namibische Englisch eine von Frauen vorangetriebene Konvergenz zu einer südafrikanisch klingenden Varietät mit hohem Status zeigt, die sprachlich an die Afrikaans sprechende „farbige“ Mittelschicht angepasst ist, vor dem Hintergrund einer anhaltenden Polarisierung zwischen Weißen und Schwarzen. Diese Beobachtungen deuten darauf hin, dass gemischte Methoden fruchtbare und verständliche Einblicke in die Variation im Globalen Süden liefern können, deren Muster in angepasste variationistische Modelle integriert werden können.
Bio
Gerald Stell ist zurzeit ausserordentlicher Professor an der Universität Lausanne, nachdem er zuvor Lehraufträge in Hongkong und auf den Westindischen Inseln innehatte. Sein Fachgebiet ist die Mehrsprachigkeit und Variation in postkolonialen Lingua francas. Seine aktuellen Forschungsprojekte befassen sich mit der Mehrsprachigkeit in Namibia sowie mit Ko-Variationsmustern in afrikanischen Englisch- und Französischsprachen.